Eine komplett umgebaute Neufassung von Pauke üben?
Manch einer wird sich vielleicht fragen, was der Grund für die Entstehung dieser neuen Ausgabe sein mag. Um diese Frage zu beantworten, möchte ich gerne ein bisschen weiter ausholen:
Meinen ersten Schlagzeugunterricht erhielt ich mit 11 Jahren an der Musikschule in Schorndorf (einem reizenden mittelgroßen Örtchen östlich von Stuttgart). Im Anfängerunterricht von Dieter Hahn war für eine ziemlich lange Zeit zunächst ausschließlich Kleine Trommel angesagt. Hier durfte ich mich mit den Studienwerken von Siegfried Fink sowie dem legendären Heft Stick Control von George Lawrence Stone befassen. Aus heutiger Sicht erscheint mir dieses Repertoire (insbesondere für einen 11-Jährigen!) doch recht trocken: keine bunten Bilder, keine Spielstücke, keine Playalongs, etc… Aber mich störte das damals überhaupt nicht. Und ich verdanke diesem nüchternen Einstieg eine solide rhythmische Grundausbildung, die von großem und nachhaltigem Wert für mich war und ist.
Auf den ersten Paukenunterricht musste ich leider noch eine ganze Weile warten. Heute bin ich mir ziemlich sicher, dass Herr Hahn in Wahrheit einfach keine Lust auf Paukenunterricht hatte. Sein Metier war die Tanzmusik und das DrumSet. Als wir uns dann endlich doch auch mit der Pauke beschäftigten, standen die sehr schönen Richard Hochrainer-Etüden auf dem Programm. Diese Übungen mochte ich durchaus. Allerdings hatte von Anfang an Stick Control eine große Faszination auf mich ausgeübt. Diese konsequente Reduzierung auf klar definierte technische Bereiche, eingedampft auf übersichtliche Kurzübungen fand ich großartig.
Bevor ich mit Schlagzeug angefangen hatte, hatte ich schon einige Jahre Geige gespielt. Später sollte noch eine eher kurze Zeit mit der Bratsche folgen, bevor ich mich dann endgültig auf das Schlagwerk konzentrierte. Sowohl mit der Geige als auch mit der Bratsche musste ich mich unter anderem mit Etüden auseinandersetzen, die bei mir einen Argwohn gegenüber dieser Art von Übungsliteratur nährten. Was mich störte, war dieses pseudo-musikalische Gewand, in der diese Etüden vielfach daherkamen. Sie ließen mich den tieferen Sinn der Quälerei nicht erkennen. Stattdessen war es für mich weder „richtige“ Musik noch pure Technik. Aus diesem Grund hatte ich von Anfang an beim Paukeüben den Gedanken im Kopf, dass es doch großartig wäre, wenn es auch für die Pauke eine Art Stick Control gäbe. Ein Übungswerk also, das auf klar strukturierte und systematische Weise jene technischen Inhalte behandelt, die für das zielgerichtete und effiziente Erlernen eines Instruments relevant sind.
Das war die ursprüngliche Motivation für mich, mir selbst allererste Übungen für die Pauke auszudenken. Diese ersten Gehversuche als Autor solcher Übungsliteratur brachten Übungen für zwei Pauken zutage, da ich es bis zum Studium nur in seltenen Ausnahmefällen mit drei oder gar vier Pauken zu tun hatte.
Als ich dann an der Musikhochschule Stuttgart bei Prof. Klaus Tresselt mein Studium begann, ergänzte und erweiterte ich meine ersten Entwürfe nach und nach mit Übungen für 4 Pauken. Wann genau die ersten Rhythmus-Übungen entstanden, weiß ich nicht mehr. Wegen des begrenzten Angebots an Schlagzeug-Überäumen (damals noch im alten Gebäude der Stuttgarter Hochschule) zog ich mich nicht selten mit nur einer einzigen kleinen Pauke in einen winzigen Abstellraum zurück und übte dort. Das fanden meine Kommilitonen ausgesprochen lustig bis skurril. Nicht auszuschließen, dass ich dort erste Ideen für rhythmische Übungen auf einer einzelnen Pauke entwickelte. In Stuttgart hatte ich übrigens das große Glück, Kleine-Trommel-Unterricht bei dem großartigen Werner Zühlke zu bekommen. In seinem Unterricht begegneten mir das erste Mal (und tatsächlich auch das einzige Mal) einleuchtende und durchdachte Ideen zu einer Bewegungs-Systematik. Danke Herr Zühlke!
Mit dem Paukenunterricht war ich dort hingegen nicht so glücklich. Heimlich besuchte ich Rainer Seegers in Berlin, was zu einer Art Erweckungserlebnis für mich werden sollte. Das Zusammentreffen mit diesem genialen Pauker machte mir sofort klar, dass ich nicht länger in Stuttgart bleiben wollte. Leider unterrichtete Rainer Seegers zur damaligen Zeit an keiner Hochschule.
Daher wechselte ich nach 4 Semestern zu seinem ehemaligen Lehrer Prof. Albert Schober an die Musikhochschule Hannover. Albert Schober war ein überaus liebenswerter Herr kurz vor der Pensionierung, ein fantastischer Klang-Magier und ein Musikant durch und durch! Das Thema Technik nahm in seinem Unterricht nahezu gar keinen Raum ein. Bei meinem allerersten Telefonat mit ihm fragte er mich, was ich denn bisher im Studium so gemacht hätte. Ich antwortete wahrheitsgetreu: „Na, Technik!“. Herr Schober antwortete nach kurzer Pause ehrlich verblüfft und ratlos: „Aber so viel Technik gibt es doch gar nicht auf der Pauke!..“.
Für Albert Schober war ausschließlich die Musik von Interesse. Die Fragen der technischen Umsetzung mussten sich irgendwie von alleine beantworten. Für mich war das einmal mehr ein Anlass, mir eigene Übungskonzepte auszudenken. In Hannover war es dann irgendwann Zeit für eine umfangreiche schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Diplom-Prüfungen. Der in diesem Zusammenhang für mich zuständige Professor fragte mich, ob ich nicht irgendetwas zum Thema Pauke oder Schlagzeug schreiben wollte. Als ich ihm sagte, dass ich eigene Paukenübungen geschrieben hatte, war seine Begeisterung groß und wir überlegten gemeinsam, wie diese Übungen zur Grundlage meiner Diplomarbeit werden könnten. Das Ergebnis trug letztlich den etwas sperrigen Titel "Pauke üben - Anmerkungen zum effektiven Üben technischer Aspekte des Pauken-Spiels (anhand entsprechender Übungsliteratur) in Verbindung mit einem Entwurf selbst konzipierter, systematischer Technik-Übungen für Pauke". Die darin enthaltenen Übungen stießen bei einigen Kommilitonen auf großes Interesse. Als ich meine Studien 1992 an der Orchesterakademie der Berliner Philharmoniker fortsetzte, ermunterte mich ein Schlagzeugstudent der UdK (damals noch Hochschule der Künste) diese Übungen zu veröffentlichen. Und tatsächlich: schließlich bekundete der Musikverlag Zimmermann in Frankfurt Interesse an meinen Übungen. 1996 erschien meine erste Veröffentlichung Pauke üben.
Einige Jahre später regte sich in mir jedoch eine erste Unzufriedenheit mit diesem Heft. Insbesondere die Rhythmusübungen gefielen mir nicht mehr. Ich betrachtete sie nun als bloße Katalogisierung möglicher rhythmischer Varianten. Aber auch die Übungen für 2 und 4 Pauken schienen mir verbesserungsfähig. Außerdem glaubte ich nun, dass es insgesamt vorteilhafter wäre, den Übungen erläuternde Kommentare zur Seite zu stellen. Ich entwickelte eine komplette Neuveröffentlichung mit einer methodisch wesentlich raffinierteren Aufbereitung der selben Inhalte: Bewegung-Koordination-Rhythmus (2006). Aber auch mit diesem Heft war ich irgendwann leider nicht mehr einverstanden. Inzwischen war das Erforschen des Paukenspiels in all seinen Facetten zu einem ständigen und festen Bestandteil meines Lebens als Musiker geworden: zu meinem eigenen Erstaunen entdecke ich bis heute immer neue Aspekte und mache mir immer wieder Gedanken darüber, wie ich die entsprechenden Inhalte methodisch am besten aufbereiten könnte. Im Falle von Bewegung-Koordination-Rhythmus wurde mir bewusst, dass ich bei der Konzeption der neuen Übungen wichtige Bewegungs- und Koordinationsfragen völlig unberücksichtigt gelassen hatte, die für mich mittlerweile von größter Bedeutung geworden waren. Für ein Heft, das die beiden Begriffe Bewegung und Koordination sogar im Titel führt, war das aus meiner Sicht sehr problematisch zu bewerten. So reifte der Entschluss, dieses Heft vom Markt zu nehmen.
Aber mein Erstlingswerk Pauke üben existierte ja auch immer noch. Inzwischen war eine Reihe anderer Veröffentlichungen von mir erschienen, die für mich zum Teil inhaltlich das auffingen bzw. „kompensierten“, was mich an Pauke üben störte. Mehr und mehr überwog jedoch bei mir die Unzufriedenheit damit, dass ich inhaltlich nicht mehr uneingeschränkt hinter meiner ersten Veröffentlichung stehen konnte. Schließlich traf ich die Entscheidung, Pauke üben gründlich zu überarbeiten und dieses Heft nicht als unveränderten „Klassiker“ in der ursprünglichen Form fortbestehen zu lassen.
In die überarbeitete Version von Pauke üben fließt nunmehr sowohl meine umfangreiche Unterrichtserfahrung als auch meine langjährige intensive Auseinandersetzung mit den beiden Themenbereichen „Elementare Rhythmen“ und „Spiel auf 2 und 4 Pauken“ ein.
Um den Übe-Effekt noch mehr zu steigern, werden in der neuen Ausgabe die beiden genannten Inhalte gemeinsam bearbeitet. Dadurch hat sich natürlich auch der gesamte Aufbau des Heftes grundlegend verändert, den ich nun gerne als Übungs-‚Parcour‘ bezeichne. Aufbauend auf den ersten, sehr einfachen Übungen entwickeln sich alle weiteren Übungen des Heftes in kleinsten Schritten wie eine sehr lange Variationenfolge. Das kann man sich vorstellen wie diese Sorte Handy-Spiele, bei denen man sich von Level zu Level voranarbeitet und bei denen sich der Schwierigkeitsgrad auch nur ganz allmählich stiegert. Charakteristisch für diese Spiele ist, dass man sich immer wieder neue Tricks oder Verhaltensweisen aneignen muss, um die Herausforderungen des jeweiligen Spiels meistern zu können. Aber diese neuen Techniken werden einem dort nicht erklärt, vielmehr muss man sie selbst finden. Das macht nicht nur den Reiz dieser Spiele aus, sondern es ist für den Lerneffekt ungemein wertvoll! In der neuen Ausgabe von Pauke üben ist das ganz ähnlich:
Im Verlauf dieses Übungs-Parcours wirst du immer wieder auf Übungen stoßen, bei denen das erste Durchspielen nicht beim ersten Mal perfekt funktioniert, weil du erst einmal den passenden Bewegungsablauf finden musst. Daher kann es schon mal zu einer "koordinativen Verwirrung" kommen, die aber gewollt ist, weil sie einen ganz wichtigen und wertvollen Lernprozess in deinem Gehirn anstoßen kann! Wenn du nach kurzer Zeit den jeweils passenden Bewegungsablauf selbst gefunden hast, wird nicht nur das Erfolgserlebnis umso größer sein, sondern du wirst auch feststellen, dass sich die Übung richtig gut anfühlen wird. Außerdem - und dass ist ja das Allerwichtigste - dein Klang wird profitieren und die beteiligten Rhythmen werden an Präzision gewinnen!
Voraussetzung für das Gelingen dieser Methode ist allerdings, dass die vorgegebenen Handsätze und insbesondere auch die Tempovorgaben immer genau beachtet werden. Durch das Zusammenspiel dieser beiden Parameter werden nämlich für jede Übung bestimmte Bewegungsmuster provoziert. Aus diesem Grund solltest du die angegebenen Tempi niemals unterschreiten. Das ist tatsächlich ungewöhnlich, weil wir immer gelernt haben, dass wir mit langsamen Tempi arbeiten sollen, wenn irgendetwas nicht klappt. Aber diese Vorgehensweise funktioniert in diesem Heft nicht. Ich habe im Vorwort andere Methoden erläutert, mit denen du dir im Bedarfsfall einzelne Übungen ein wenig vereinfachen kannst.
Auf diese Weise ist Pauke üben sowohl für die Arbeit mit Anfängern geeignet, als auch für weit Fortgeschrittene, die ihre Technik einer gründlichen Revision unterziehen möchten.
43 Seiten. deutsch - englisch
Schott Musikverlag 2025
Erhältlich bei Brandt Percussion: 18,50 € + Versand
Als E-Noten PDF: 11,99 €. Erhältlich bei Schott Music